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Die Schwartzkopff-Kanone

20.08.2015

In Anbetracht der zunehmenden Größe der Verkehrsflugzeuge und der Geschwindigkeitsteigerung von Jagdflugzeugen beschäftigte sich das Wissenschaftsministerium in den 70er Jahren mit der Frage, wie kann man die Reaktorbehälter von Kernkraftanlagen vor Flugzeugabstürzen oder Kamikaze-Angriffen von Jagdflugzeugen ausreichend schützen.

Ähnliche Probleme bearbeitete das Verteidigungsministerium, wo es um die Frage ging, wie kann man gegnerische Flugzeug-Startbahnen und stark geschützte Bunkerbauten der Befehlszentralen bekämpfen.

Beide Ministerien waren der Überzeugung, dass eine Versuchsanlage erforderlich war, in der verschiedenste Betonziele mit großkalibrigen Objekten beschossen werden konnten. Sie einigten sich darauf, dass der Verteidigungsminister das Versuchsgelände auf seiner Erprobungsstelle in Meppen zur Verfügung stellte und das Wissenschaftsministerium die Kosten der zu entwickelnden Beschleunigungs-einrichtung übernahm. Die Anforderungen an die Beschleunigungsanlge waren, diverse Objekte bis zu 1000 kg auf Geschwindigkeiten bis zu 300 m/s zu beschleunigen.

Zu einem Ideen-Wettbewerb wurden die einschlägigen wehrtechnischen Firmen und Institute aufgefordert. Den Auftrag zur Entwicklung, Herstellung und Inbetriebnahme der Anlage zum Preis von l.050.000 DM erhielt 1974 Schwartzkopff Bonn mit dem Vorschlag eine schienengeführte Leichtgas-Beschleunigungseinrichtung zu verwenden, die durch Verlegung von Schienen auf verschiedene Ziele ausgerichtet werden konnte und deren Rückstoßimpuls durch Ausbremsen auf den Schienen aufgefangen werden konnte.

Eine Prinzipskizze der Anlage zeigt die folgende Abbildung:


Die Übergabe der fertigen Anlage (siehe Abbildung) an die Erprobungsstelle Meppen erfolgte im November 1976.

Projektbeteiligte:
Vorschlag Treibmittel Methan-Luft-Gemisch:        Victora, Schwartzkopff Bonn
Vorschlag Schienenführung zur Ausrichtung
und Ausbremsen des Rückstoßimpulse:                  Dr. Steffen, Schwartzkopff Bonn
Gasdynamik:                                                            Dipl.-Ing Mebus, München
Stat. und dynamische Festigkeitsberechnung:         Dr.Ing. Meyer-Dörnberg TH Darmstadt

Zum Einschießen der Anlage wurde ein Stahlrohr (Länge: 6 m/Durchmesser: 35 cm) mit aufgesetzten Flachkopf verwendet. Die Masse des Projektils betrug 1000 kg; die Schußgeschwindigkeit sollte 300 m/s betragen. Zum Auffangen des Projektils hatte ich eine 6 - 10 m lange Barriere aus verdichtetem Sand vor der Kanonenmündung vorgeschlagen. Leider konnte ich an diesem Versuch nicht teilnehmen, da ich mich auf einer Dienstreise in Süddeutschland befand.

Einige Sekunden nach dem erfolgreichen Abschuß der Kanone fiel der Stom am Versuchsplatz aus. Man beglückwünschte sich noch, dass man den Schuß gerade noch rechtzeitig auslösen konnte. Da das Füllen des Druckbehälters unter Sicherheitsbedingungen erfolgen mußte, hätte kein Mitarbeiter an die gespannte Kanone gehen dürfen. Für einen derartigen Fall hatte man keine Vorkehrungen getroffen.

Die Ursache für den Stromausfall stellte sich bald heraus. Die Schußversuche mit der Schwartzkopff-Kanone sollten auf der Außenstelle am nördlichsten Ende der Meppener Schußbahn erfolgen. Diese Außenstelle wurde über eine Kette von Masten direkt von der Hauptstelle in Meppen mit Strom versorgt. Das Projektil hatte die Sandbarriere durchschlagen und einige Kilometer entfernt einen dieser Masten getroffen und umgelegt. Wie konnte es zum Durchschlag kommen? Die Spezialisten der Erprobungsstelle behaupteten, der Flachkopf des Projektils könne nicht richtungsstabil durch die Sandbarriere laufen. Sie tauschten deshalb den Flachkopf gegen einen 90°-Kegel um. Da der Widerstand des Projektils dadurch auf ca. 63 % des geplanten Widerstandes reduzert wurde, war der erfolgte Durchschlag nicht verwunderlich.

Die Reaktorsicherheitsabteilung des TÜV führte zahlreiche erfolgreiche Versuche durch. In Gesprächen mit Fachleiten der Reaktorsicherheit erfuhr ich lediglich, dass die Ergebnisse der Versuche eine Verstärkung der Dicke von Reaktorbehältern auf 7 m Stahlbeton erforderlich machten.

Mehr zur militärischen Anwendung der Kanone findet sich im Artikel:
Ingo Niemzig and Roland Steffen: Engagement of Hard Targets from the Air (Lit.10).

Die deutsche Fassung dieses Artikels sollte im Jahrbuch der Wehrtechnik Bd. 92 veröffentlicht werden. Erst im August 2015 erfuhr ich, dass der Artikel nicht erschienen war, vermutlich paßte er nicht mehr in die politische Landschaft. Er wird in kurzer Zeit im Anhang dieser Website veröffentlicht werden. Startseite                                                               zurück                                               weiter